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Das Leben ohne die Südtribüne


Ein wenig komisch war das Gefühl schon. Borussia Dortmund entzauberte am Samstag zum Bundesliga-Auftakt den FC Augsburg und ich war nicht dabei. Weil ich in dieser Saison die  BVB-Dauerkarte für die berühmte Südtribüne nicht mehr habe. Aber so richtig Entzugserscheinungen hatte ich auch nicht – trotz des famosen 5:1-Erfolges.


Der Kolumnist und Borussia Dortmund – das ist eine lange Geschichte. Dabei bin ich familiär überhaupt nicht vorbelastet, mein Vater interessierte sich nur marginal für Fußball. Im Stadion war er nie, er hatte auch keinen Lieblings-Verein.
1974 zog unsere Familie aus dem Sauerland nach Dortmund, 1975 war ich zum ersten Mal mit meinem Bruder im Westfalenstadion. In der alten Zweiten Liga Nord gegen Alemannia Aachen, wir standen auf der Nordtribüne, auf die Süd trauten wir uns zu diesem Zeitpunkt noch nicht so recht. Der BVB gewann 6:0 und stieg 1976 wieder in die Bundesliga auf. Seitdem besuchte ich regelmäßig die schwarz-gelben Heimspiele. Lange Zeit als Schüler, Auszubildender und Student, diese Karten bekam man damals noch problemlos vor Spielbeginn. Und eigentlich stand ich immer auf der Südtribüne. 


Gewaltig: Die Dortmunder Südtribüne. Aber nur noch manchmal meine Welt. (Foto uk)

Als dann die Dortmunder Spiele immer begehrter wurden und aus dem potenziellen Wackel- ein aufstrebender Kandidat für internationale Plätze und Meisterschaften wurde, kaufte ich 1992 meine erste Dauerkarte für die Südtribüne. Und seitdem habe ich viel Glanz und wenig Elend des BVB mitbekommen. Es gab tolle Zeiten mit Meisterschaften und Champions League unter Trainer Ottmar Hitzfeld, aber auch bleierne Phasen mit Fußball zum Davonlaufen und dem beinahe Finanz-Kollaps.
Nicht nur der Fußball hatte sich verändert. Auch das Umfeld: Der BVB hatte auch in schlechten Zeiten in Dortmund immer großen Rückhalt, jeder in der Stadt hatte eine Meinung zu Schwarzgelb. Fußball war immer Thema Nr. 1. Doch trugen früher nur die Hardcore-Kutten-Fans Trikot, kommt heute fast jeder mit schwarz-gelbem Shirt ins Stadion. Und die Karten für den BVB wurden zu Mangelware. 

Die Klopp-Jahre
Zwei Jahre – von 2006 bis 2008 – hatte ich keine Dauerkarte, weil ich beruflich in Süddeutschland weilte. 2008 war ich wieder da, stellte mich einen Vormittag an der Geschäftsstelle an und ergatterte wieder eine Südkarte. Noch mal zur Erinnerung: Der BVB hatte trotz Erreichen des Pokalfinales eine grottenschlechte Saison hingelegt, sein Stil war berechenbar und langweilig. Dennoch waren Süd-Dauerkarten die heißeste Ware in der Stadt. 
Es folgten die grandiosen Klopp-Jahre, die beste Zeit meines Fandaseins. Jürgen Klopp verstand Dortmund und BVB, es gab grandiose Vollgasveranstaltungen. Unvergessene Spiele, die mein Dasein für immer prägten. In einer Zeit, in der es mir persönlich richtig schlecht ging, war der BVB eine Art von Trost. 
Später hatte ich dann ernste gesundheitliche Probleme. Meistens habe ich es zu den Spielen geschafft, doch manchmal eben nicht. Zudem ging mir die Profitsucht des Profi-Fußballs zunehmend auf den Geist. Das Wechsel-Theater um den streikenden Dembele und den lustlosen Aubameyang in der Saison, die Aufsplitterung des Spieltags in zig Spielzeiten wegen des Pay-TVs und die zunehmende Langeweile an der Spitze der Liga – Gründe, warum meine Interesse deutlich weniger wurde.
Dazu waren viele Dortmunder Spiele der Saison 2017/2018. Es war schon ein Hauch Masochismus, das ich mir in dieser Spielzeit fast alle BVB-Heimspiele angetan habe. Besonders manche Heimspiele in der Rückrunde waren regelrecht Folter. Obwohl fast alle Spiele offiziell ausverkauft waren, kamen viele Dauerkarten-Inhaber auf der Süd nicht. Man stand dort vergleichsweise sehr luftig, was so schlimm nun auch wieder nicht ist.
In der letzten Saison wurde dann es wieder besser, auch wenn die Heimspiele im Laufe der Zeit immer schlechter wurden. Immerhin gab es grandiose Heimspiele wie gegen die Bayern, die unvergessen bleiben werden.
Aber irgendwie war bei mir die Luft raus. Und darum habe ich keine Dauerkarte mehr. Die hat jetzt einer meiner Brüder. Und wenn der nicht kommen kann, werde ich hingehen. Es ist also kein Abschied für immer. Aber auf Entzug bin ich nicht.

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