Es wirkte schon ein wenig grotesk: In Deutschland und
überall auf der Welt hält das Coronavirus Leben und Sport im Schach. Und in
England: Volle Tribünen an den vier Tagen des Cheltenham-Festivals, Menschen
dichtgedrängt, als wenn das Coronavirus weit entfernt ist.
„Ein letztes Stück
Unterhaltung vor der Realität“, schrieb der Guardian, denn auch auf der Insel wird der Virus
in den nächsten Wochen nicht nur den Rennsport eindämmen. Das Cheltenham
Festivals bot auch 2020 aufregende Momente ohne Ende. Unsere Auswahl.
Epatante/Barry Geraghty/ J.P McManus
Es war eine
Demonstration und Epatante bewies mit ihrem Erfolg in der Champion Hurdle, dass
sie ein Pferd mit großer Zukunft ist. „Als hässliches Entlein“, bezeichneten
manche Experten im Vorfeld diese Champion Hurdle. Von wegen – wie die Stute aus
dem Quartier von Nicky Henderson sich
auf den Zielgeraden leicht von den Gegnern löste, war brillant. Und sie löste dabei alle Vorschusslorbeeren ein.
Ihr Steuermann Barry Geraghty (40) hatte jederzeit alles im Griff. Vor ein
paar Jahren tat sich der irische Jockey nach einer Verletzungspause mal etwas
schwerer. Verständlich nach all den erfolgreichen Jahren – doch das ist schon
lange her. Geraghty war immer ein exzellenter Taktiker, ein Mann quasi ohne
Nerven. Wie er den etwas unsicheren Springer Champ noch schnell machte in der
RSA Chase, war herausragend. Auch einige gute Dinger in den hart umkämpften
Handicaps ritt er souverän nach Hause.
Fast immer war Geraghty in den berühmten Farben von JP
McManus unterwegs. Auch für McManus, einen der größten Besitzer im Hindernissport, war es ein großartiges Festival. Nicht nur wegen Epatante und Champ.
Gordon Elliott/Willie Mullins
Gordon Elliott und Willie
Mullins zementierten eindrücklich ihre führende Stellung bei den Trainern im
englisch-irischen Hindernissport. Elliott und Mullins hatten ihre Pferde wieder
top auf den Punkt gebracht, beide gewannen jeweils sieben Prüfungen. Mullins
siegte zudem mit Al Boum Photo im Cheltenham Gold Cup. Jahrelang musste der so
erfolgsverwöhnte Trainer auf einen Erfolg in diesem Prestige-Rennen warten –
jetzt gewann er mit dem gleichen Pferd hintereinander. Und versaute mir meine
Siegwetten mit Santini (2.) und Lostintranslation (3.).
Irland dominierte wie schon in den Jahren zuvor, denn auch
Trainer Henry de Bromhead hatte seine Pferde gut in Schuss. Von den englischen
Trainern konnte da eigentlich nur Nicky Henderson mithalten, der
immerhin am ersten Tag drei Rennen gewann.
Den Donnerstag wird Trainer Henry
Whittington nicht vergessen, denn lange Zeit leistete sein Schützling Saint
Calvados dem Favoriten Min in der Ryanair Chase erbitterten Widerstand und
wurde Zweiter. Zwei Rennen später triumphierte aber Simply The Betts. Jedes Mal
saß Gavin Sheehan im Sattel, auch er wird diesen Tag immer in Erinnerung
halten.
Unverlierbare
Die alte Weisheit des Kolumnisten, dass es keine
unverlierbaren Pferde außer Frankel und Winx gibt, bestätigte sich erneut.
Paisley Park war der haushohe Favorit in der Stayers Hurdle, doch es war früh
zu sehen, dass der bislang so formkonstante Wallach diesmal nicht gewinnen
würde. Der Held des Rennens war der 51:1-Außenseiter Lisnagar Oscar, der nach
einem wohldosierten Ritt des leider immer ein wenig unterschätzten Adam Wedge vorne
war. Für Trainerin Rebecca Curtis war das nach schlechteren Zeiten mal wieder
ein großer Moment.
Die Champion Chase war für viele im Vorfeld das Rennen der
Woche. Doch nach den Ausfällen von Altior und Chacun Pour Soi schien es eine
leichte Aufgabe für den bislang so imponierenden Defi Du Seuil. Doch an diesem
Tag lief es anders: Defi Du Seuil sah schon früh geschlagen aus und wurde
Vierter. Dieser Tag gehörte Politologue, Jockey Harry Skelton (Bruder Dan hatte
keinen Starter) und Trainer Paul Nicholls, der auch den Zweiten Dynamite
Dollars sattelte. Der Schimmel Politologue stand immer ein wenig im Schatten
des großen Altior, jetzt machte er nicht nur seinen Besitzer John Hales
glücklich.
Goshen
Es war das Drama des Festivals. Goshen lief in der
Triumph Hurdle ein großartiges Rennen, sprang sicher und löste sich mit viel
Speed vom Feld. Der Sieg schien ihm und Jockey Jamie Moore sicher, doch dann
kam die letzte Hürdle. Goshen geriet ins Stolpern und beförderte seinen Jockey aus dem Sattel,
Burning Victory aus dem Mullins-Stall gewann.
Doch die Gedanken aller waren bei den so unglücklich
Besiegten. Es war der vielleicht bitterste Moment im Rennsportleben für Jockey
Jamie Moore, seinem Vater und Trainer Gary Moore sowie Besitzer Steve Packham.
Aber immerhin blieben nur die Wunden der Gegenwart, denn Goshen dürfte ein Pferd
sein, dessen Klasse für die Zukunft alles verspricht.
Talente
Nicht nur Goshen imponierte. Auch
sonst war Cheltenham wieder ein Füllhorn großartiger Talente: Shishkin (Supreme
Novices‘ Hurdle), Champ (RSA Chase), Envoi Allen (der seinen Wunderstatus in
der Ballymore Novices‘ Hurdle eindrucksvoll bestätigte) oder Monkfish (Albert
Bartlett Novices‘ Hurdle) gefielen. Auch bei den
Platzierten gibt es viele Zukunftsversprechen. Selbst das einstige Wunderpferd
Samcro war in der Marsh Novices‘ Chase wieder auf der Gewinnerseite, als er den
ewigen Cheltenham-Zweiten Melos hauchdünn schlug.
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